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Vor allem die Interaktion mit Wettbewerbern ist kartellrechtlich sensibel, da gerade in diesem sog. Horizontalbereich im Verstoßfall sehr hohe Bußgeld- und Schadensersatzrisiken drohen. Das Risiko besteht bei Interaktionen zwischen konkurrierenden Produzenten, aber auch auf der Handelsebene zwischen konkurrierenden Händlern. In erster Linie beim Einkauf sowie Marketing und Werbung arbeiten gerade auch Onlinehändler oft zusammen. Hier gilt es einen Blick auf die seit Juli 2023 geltenden Neuregelungen zu werfen.
Kooperationen mit Wettbewerbern als auch der Informationsaustausch mit Wettbewerbern sind für eine funktionierende Wirtschaft unerlässlich, unterliegen jedoch zur Vermeidung von wettbewerbsschädlichen Folgen bestimmten kartellrechtlichen Anforderungen, die im Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (umgangssprachlich als Kartellverbot bezeichnet) im Europarecht (Art. 101 AEUV) und im nationalen Recht (§ 1 GWB) fest verankert sind.
Um in diesem Bereich rechtssicher zu agieren, sind klare Rechtsregeln und Auslegungshilfen von hoher Wichtigkeit. Die überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnungen für Forschungs- und Entwicklungskooperation und Spezialisierungsvereinbarungen (nachfolgend GVO’s) sowie die praktisch insb. für Händler noch viel bedeutsameren Horizontalleitlinien dienen Unternehmen als klare und aktuelle Orientierungshilfen bei der Beurteilung der Frage, ob ihre Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit mit dem Kartellrecht vereinbar sind.
Anders als die GVO’s sind die Horizontalleitlinien zwar keine Rechtsnormen und deswegen für Behörden wie das Bundeskartellamt und Gerichte nicht verbindlich. Dennoch ist die faktische Wirkung und praktische Bedeutung sehr hoch, insbesondere da die Europäische Kommission ein Recht des ersten Zugriffs für Kartellverfahren hat.
Im Folgenden soll ein praktischer Kurzüberblick über die zentralen Inhalte der Horizontalleitlinien und der neuen GVO’s gegeben werden.
Die Horizontalleitlinien regeln die Zulässigkeitsanforderungen für Kooperationen zwischen (potentiellen) Wettbewerbern. Dies umfaßt den gemeinsamen Einkauf, Vermarktungskooperation, Standardisierung, Standardbedingungen sowie die Zusammenarbeit von Wettbewerbern zu Themen der Nachhaltigkeit. Schließlich wird das sehr zentrale Thema der Zulässigkeit des Informationsaustauschs zwischen Wettbewerbern geregelt.
Produktionsvereinbarungen und Forschungs- und Entwicklungskooperationen werden sowohl durch GVO als auch durch die Horizontalleitlinien erfasst.
Horizontalleitlinien
- Gemeinsamer Einkauf
Einkaufskooperationen kommen im Wirtschaftsleben häufig vor und werden grundsätzlich kartellrechtlich infolge der Einsparungspotentiale für die Nachfrageseite und den positiven Effekten auf den Folgemärkten grundsätzlich weniger kritisch und als unbedenklich angesehen, wenn die kooperierenden Parteien auf den relevanten Einkaufs- und Verkaufsmärkten einen moderaten gemeinsamen Marktanteil haben (Schwelle von 15%-Marktanteil wird beibehalten) und keine Kernbeschränkungen vereinbart werden. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine verstärkte Verfolgung von Einkaufskartellen, also Absprachen zwischen konkurrierenden Nachfragern auf Einkaufsmärkten, die als schwerwiegende Kartellrechtsverstöße geltend und mit hohen Bußgeldern geahndet werden. Die neuen Horizontalleitlinien geben praktische Hinweise für die Abgrenzung eines (heimlichen) Einkaufskartells und einer ggü. dem Lieferanten offengelegten Einkaufskooperation. Wichtig ist vor allem eine gute Dokumentation samt schriftlicher Verträge sowohl zwischen den kooperierenden Einkäufern als auch zwischen Lieferant und Einkäufern, um die Aktivitäten innerhalb der Kooperation klar nachweisen zu können. - Vermarktungskooperation
Vermarktungskooperationen können je nach den von ihnen erfassten Vermarktungsfunktionen stark variieren. Die intensivste Kooperationsform stellt die gemeinsame Verkaufsvereinbarung, die zur gemeinsamen Festlegung sämtlicher mit dem Verkauf eines Produkts verbundenen geschäftlichen Gesichtspunkte einschließlich des Preises führt. Hier sind die Rechtfertigungsanforderungen sehr hoch. Am anderen Ende stehen Vereinbarungen, die nur ganz bestimmte Vermarktungsfunktionen wie Vertrieb, Kundendienst oder Werbung regeln. Sofern keine schwerwiegenden Wettbewerbsbeschränkungen wie insb. Preis- oder Mengenbeschränkungen vereinbart werden, bleibt es unter den neuen Leitlinien dabei, dass unterhalb eines gemeinsamen Marktanteils von 15% die Kooperation wahrscheinlich unbedenklich ist. Eine Einzelfallprüfung ist stets angezeigt. Bei höheren Marktanteilen sind die Rechtfertigungsanforderungen höher. - Standardisierung/Normenvereinbarungen
Vereinbarungen über Normen bezwecken im Wesentlichen die Festlegung technischer oder qualitätsbezogener Anforderungen an bestehende oder zukünftige Produkte, Herstellungsverfahren, Dienstleistungen und Methoden. Drei kartellrechtliche Bedenken in Form einer Verringerung des Preiswettbewerbs, einer Marktverschließung gegenüber innovativen Technologien und der Ausschluss oder die Diskriminierung bestimmter Unternehmen, indem ihnen der Zugang zu der Norm verwehrt wird, sind im Einzelfall zu prüfen. - Standardbedingungen
In einigen Branchen verwenden Unternehmen Standardverkaufsbedingungen, die entweder von einem Wirtschaftsverband oder aber direkt von den Wettbewerbern ausgearbeitet worden sind (nachstehend „Standardbedingungen“ genannt). Abgestimmte Standardbedingungen unter Wettbewerbern können zu wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen führen, indem sie u.a. Produktangebot und Innovation einschränken. Vor diesem Hintergrund unterliegen auch Kooperation in diesem Bereich einer kartellrechtlichen Prüfung im Einzelfall. - Nachhaltigskeitskooperation
Die neuen Vorschriften bieten einen geschützten Bereich für Normenvereinbarungen für die Nachhaltigkeit, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Ferner wird klargestellt, wie eine Nachhaltigkeitsvereinbarung freigestellt werden kann, indem die Arten von Vorteilen beschrieben werden, die berücksichtigt werden können. - Informationsaustausch
Die Interaktion mit Wettbewerbern mündet nicht immer in einer der bereits genannten Kooperationsformen, vielmehr werden nur Informationen zwischen (potentiellen) Wettbewerbern ausgetauscht. Das kann bilateral oder auch im größeren Kreise, sei es auf Verbandsebene oder etwa bei Industriekonferenzen erfolgen. Auch muss der Austausch nicht immer unmittelbar erfolgen, auch digitale Mittel wie etwa der Einsatz von Algorithmen wird von der Europäischen Kommission in die Betrachtung einbezogen. Sofern strategische oder sensible Geschäftsinformationen zwischen Wettbewerbern fließen (der einseitige Informationsfluss reicht aus), muss der Informationsfluss den Anforderungen der Horizontalleitlinien genügen. Kartellrechtswidriger Informationsaustausch birgt hohe Bußgeldrisiken, die Bußgeldpraxis der Kartellbehörden und die Rechtsprechung hat diese Entwicklung seit den letzten Horizontalleitlinien aus dem Jahre 2011 nochmal deutlich verschärft, so dass hier große Sorgfalt bei der Vorbereitung, Durchführung und der Dokumentation von Informationsaustauschen angezeigt ist. Die neuen Leitlinien fassen den aktuellen Stand zum Konzept der sensiblen Geschäftsinformationen sowie insbesondere den Arten des Informationsaustauschs, die bezweckte und somit besonders bußgeldrelevante Wettbewerbsbeschränkungen darstellen können, zusammen. Aktuelle und künftige Informationen zu Preisen und Mengen sind erfasst, aber auch andere sensible Geschäftsinformationen wie beispielsweise aktuelle und künftige Kapazitäten, Geschäftsstrategien, Bedarfe, Verkaufszahlen sowie verbraucherrelevante Produkteigenschaften können im Einzelfall als schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkung gewertet werden. Die sorgfältige Vorbereitung von Austauschen mit Wettbewerbern mit einer konkreten Agenda, eine Durchführung des Austauschs unter Beachtung verteilter Dos and Don’ts sowie die Verfassung von Protokollen können das Kartellrechtsrisiko ganz wesentlich reduzieren. Wichtig ist auch zu wissen, dass auch eine passive Zuhörerrolle als reiner Empfänger sensibler Geschäftsinformation schon eine Beteiligung am Verstoß zur Folge haben kann, wenn man sich nicht aktiv von dem kartellrechtswidrigen Verhalten distanziert.
Neue GVO’s und neue Hinweise in den Leitlinien zu Forschung & Entwicklung und Spezialisierungsvereinbarungen
- Forschung und Entwicklung
Bei sog. F&E-Kooperation gibt es nun größere Klarheit und Flexibilität bei der Berechnung der Marktanteile. Mehr Bedeutung erhalten durch die überarbeiteten Vorschriften insbesondere der Schutz des Innovationswettbewerbs, vor allem wenn keine Marktanteile berechnet werden können. In diesem Zusammenhang werden die Befugnisse der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden betont, den Rechtsvorteil der Freistellung in einzelnen problematischen Fällen zu entziehen. - Produktionsvereinbarungen
Bei Produktionsvereinbarungen gibt es eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Gruppenfreistellungsverordnung für Spezialisierungsvereinbarungen auf weitere Produktionsvereinbarungen, die von mehr als zwei Parteien geschlossen wurden. Die überarbeiteten Vorschriften sehen ferner eine flexiblere Berechnung der Marktanteile bei der Anwendung der Gruppenfreistellung vor.
Fazit
Die neuen Horizontalleitlinien sind für die kartellrechtliche Beurteilung von Kooperationen zwischen Händlern von hoher Bedeutung und bieten grundsätzlich gute Spielräume für die Ermöglichung von Kooperation. Eine gründliche Einzelfallprüfung ist ratsam. Insbesondere die Vorschriften für Einkaufskooperationen, Vermarktungskooperationen und Informationsaustausche sind für Onlinehändler praktisch wichtig, um im Einzelfall kartellrechtssicher zu agieren.
Ihr Ansprechpartner
Rechtsanwalt Dr. Nils Ellenrieder, LL.M. (Edinburgh)
kontakt@ellenrieder-kartellrecht.com